Begegnung durch Lyrik 

Unter diesem Motto steht das Projekt "Grand Tour Zentralasien" der Goethe-Institute Kasachstan und Usbekistan. In virtuellen Übersetzungsworkshops beschäftigen sich zentralasiatische Übersetzer*innen mit zeitgenössischer deutscher Lyrik von Anja Kampmann, Monika Rinck, Rike Scheffler, Daniela Seel und Jan Wagner. Die Ergebnisse können nun in einer Anthologie und auf der interaktiven Website betrachtet werden.

Wer an eine "Grand Tour" denkt, denkt an die Bildungsreisen von Goethe, Montaigne und anderen Geistigen in Europa der Neuzeit. Doch Reisen, Begegnung und Austausch können sich auch literarisch abspielen – das zeigt nicht zuletzt die Anthologie "Grand Tour Europa", mit der Jan Wagner und Federico Italiano, 2019 eine Reise durch die junge Lyrik Europas wagten. Inspiriert von diesem Vorhaben brachten die Goethe-Institute Usbekistan und Kasachstan nun mit "Grand Tour Zentralasien" Lyrik aus Deutschland und Zentralasien zusammen und schafften so Raum für interkulturellen Austausch. Im Jahr 2021 stand die Übersetzung zeitgenössischer deutscher Lyrik in zentralasiatische Sprachen im Fokus. Als Auftakt zu "Grand Tour Zentralasien" übersetzten zeitweise über einhundert Übersetzer*innen aus Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan und Kirgistan in Online-Übersetzungsworkshops insgesamt 50 deutsche Gedichte in ihre jeweiligen Landessprachen. Die schönsten Übersetzungen wurden zur Anthologie "Simurgh" zusammengefügt, herausgegeben vom kasachischen Verlag Steppe & World. Der Titel der Anthologie nimmt auf ein Fabelwesen Bezug, das in der Mythologie Zentralasiens verankert ist. Das Wort kommt aus dem Persischen und bedeutet "dreißig Vögel" als Verkörperung der dreißig Aspekte der Seele. In seinen "Vogelgesprächen" beschreibt Fariduddin Attar den Weg zur Selbsterkenntnis. Von den vielen Vögeln, die sich auf die Suche nach Simurgh begeben, überleben nur 30 und sie begreifen am Ende, dass sie selbst Simurgh sind. Anders gesagt, man findet das Gesuchte in der eigenen Seele. Unsere Übersetzer*innen aus den fünf zentralasiatischen Ländern überwinden die großen Hindernisse auf dem Weg zu ihrem inneren "Simurgh". Dieser "Simurgh" soll durch seine Reise über die Länder, auch die poetischen Samen der Lyrik verteilen. Zusätzlich ermöglicht die interaktive Website, nicht nur die Übersetzungen der Gedichte in die fünf zentralasiatischen Sprachen nachzuvollziehen, sondern auch den Übersetzungsprozess:

Kommentierungen der Gedichte durch die Autor*innen und Übersetzer*innen in Form von Text und Video laden zum Nachdenken über die Gedichte und die (Un-)Möglichkeiten literarischer Übersetzung ein. Im Frühjahr 2022 sollten sich die Lyriker*innen und Übersetzer*innen dann auch analog begegnen. Beim ersten Internationalen Lyrik-Festival Taschkent brachten die Goethe-Institute Usbekistan und Kasachstan deutsche Lyriker*innen, zentralasiatische Literat*innen und Übersetzer*innen sowie das lokale Publikum zusammen. 

Im Zentrum des Projekts "Grand Tour Zentralasien" steht die Übersetzung: Zeitgenössische deutsche Lyrik wird in digitalen Übersetzungsworkshops in die Landessprachen aller fünf zentralasiatischen Ländern übersetzt. Von März bis September arbeiteten zahlreiche Übersetzer*innen und Lyriker*innen an den Übersetzungen und der Nachbearbeitung von Gedichten von fünf zeitgenössischen deutschen Autor*innen in ihre jeweiligen Landessprachen. Dabei vernetzten sich die Teilnehmenden, angeleitet von erfahrenen Moderator*innen, über soziale Netzwerke. Als Moderator*innen fungierten erfahrene Übersetzer*innen oder Lyriker*innen:

In Usbekistan beispielsweise Khafiza Kuchkarova, die Werke wie "Alte Liebe“ (Elke Heidenrich und Bernd Schröder) oder "Gut gegen Nordwind“ (Daniel Glattauer) ins Usbekische übersetzte sowie Tillaniso Eshboeva, Lyrikerin und Doktorandin der Akademie der Wissenschaften der Republik Usbekistan.

In Tadschikistan hat Muso Saidov, Professor der Staatlichen Universität Khudjand die Seminare geleitet. 

In Kasachstan hat Rauza Musabayeva die Workshops geleitet. Sie ist Übersetzerin, Mitglied der Union der Journalisten Kasachstans, Lehrerin, übersetzt aus dem Deutschen ins Kasachische. U.a. folgende Autor*innen: Hanna Johansen, Emil Zopfi, Bettina Obrecht, Anne Möller, Willi Bredel, Kornelius Petkau und Eleonore Hummel.

Die Workshops mit kirgisischen Übersetzer*innen hat Aigul Adisova moderiert. Sie ist Übersetzerin, Lyrikerin, Dozentin für Deutsch an der Hochschule, Teilnehmerin an den Seminaren und Workshops für Übersetzer des Goethe-Instituts Kasachstan und Übersetzerhauses Looren/Schweiz.

Moderatorin der turkmenischen Übersetzer*innen ist Ogylmaral Muhammedova, Übersetzerin und Deutschlehrerin.    

Organisiert wurden die Übersetzungsworkshops online – in Usbekistan beispielsweise über den Messengerdienst Telegram. Jeden Tag veröffentlichten die Moderator*innen im Telegram-Kanal eines von insgesamt 50 deutschen Gedichten. Die über 100 teilnehmenden Übersetzer*innen und Lyriker*innen übersetzten diese dann – eigenständig oder in Teams. Nach und nach übersetzten die Workshop-Teilnehmenden jeweils ungefähr zehn Gedichte von Anja Kampmann, Monika Rinck, Daniela Seel, Rike Scheffler und Jan Wagner ins Usbekische. Jeden Abend trafen sich die Teilnehmenden außerdem online mit den Moderator*innen, um Herausforderungen und die Bedeutung der Gedichte zu diskutieren. Zusätzlich erhielten die Teilnehmenden von den Moderator*innen Materialien zum Thema literarische Übersetzungen. Im Mai trafen die Übersetzer*innen außerdem virtuell auf die Autor*innen – so konnten sie sich austauschen und direkte Antworten auf ihre Fragen zu den Gedichten bekommen.

Die Übersetzungen der Gedichte erscheinen nun als Anthologie mit dem Titel "Simurgh" beim kasachischen Verlag Steppe & World. Zusätzlich sammelte diese interaktive Website die Übersetzungen und gibt einen Einblick in die Herausforderungen der Übersetzungsarbeit.

Die zeitgenössische Lyrik in Deutschland oder besser, in den deutschsprachigen Ländern hat ihre besten Zeiten bereits hinter sich.

Kein Bedarf, so scheint es, auf dem großen deutschsprachigen Büchermarkt, der mit gängigeren und eingängigeren Literaturgattungen gesättigt ist – pro Jahr erscheinen allein in Deutschland fast 70.000 Titel in Erstauflage, um die dreißig Prozent davon sind belletristische Titel. Die übrigen Titel sind Kinderbücher, Fach- und Sachbücher. Nur etwa 2.000 Titel kommen aus der Sparte Lyrik und Drama. Aus statistischen Gründen werden beide Genres zusammengefasst. In dieser Zahl wiederum enthalten sind Gedichtübersetzungen aus anderen Sprachen, die grob geschätzt etwa fünfzig Prozent der Neuerscheinungen in diesem Bereich ausmachen.

Die meisten dieser Titel wiederum erscheinen in kleinen und mittleren Verlagen, oft in limitierten Auflagen ab 100 Exemplaren. Nur wenige schaffen es zu größeren Auflagen und in die großen Buchhandlungen. Es grenzt fast schon ein Wunder, wenn ein lyrisches Werk die Bestsellerlisten erobert (in Deutschland wird gern gemessen und verglichen) oder einen großen Buchpreis erhält.

Bemerkenswert ist, dass die deutschsprachige Lyriklandschaft äußerst offen für dichterisches Schaffen aus anderen Ländern und Sprachen ist. Übersetzt und adaptiert wurde schon immer: zuerst aus dem Lateinischen und Französischen, dem Spanischen und Italienischen. Für die Entwicklung der deutschen Dichtung war die Übersetzung der Werke William Shakespeares ein entscheidender Impuls. Bewegte sich die deutsche Dichtung bislang in großen Teilen sprachlich noch im Fahrwasser des lateinischen Erbes, entwickelte sie nun in der Ära des Barocks, also ab etwa 1600, einen eigenständigen Anspruch, den Martin Opitz 1624 in seinem "Buch von der Deutschen Poeterey" formulierte.

Zeitgleich mit der Wiederaneignung des griechischen Erbes in der Ära der Weimarer Klassik (die weniger von tatsächlichen Abstammungslinien als von einer geistigen Verbindung zu einer humanistischen Hochzeit ausging) entdeckte die deutsche Geisteswelt die Dichtung des Orients. Josef von Hammer-Purgstall übersetzte 1812 den "Diwan" des persischen Dichters Hafiz, der Goethe zu seinem "West-östlichen Diwan" (1819/1827) inspirierte. Dieser wiederum inspirierte den Begründer der deutschen Orientalistik, den Dichter und Gelehrten Friedrich Rückert. Dieser übersetzte Teile des Korans und das Werk des arabischen Dichters Abu Tammam aus dem 9. Jahrhundert und wurde schließlich mit seiner Übersetzung der Ghazelen des Sufimeisters Mevlana Dschelaleddin Rumi weithin berühmt. Nebenbei führte er der deutschen Lyrik eine neue Form zu, das Ghazel.

Nachdem Sturz Napoleons und den gescheiterten 1848er bürgerlichen Revolutionen wurde Dichtung zu einem notwendigen Kommunikationsmittel freigeistiger Bewegungen. Die Gedichte polnischer, tschechischer oder ungarischer Revolutionär*innen wurden ins Deutsche übersetzt. Um die Wende zum 20. Jahrhunderts herum hielt die Lyrik des russischen "Silbernen Zeitalters" Einzug in den deutschen Sprachraum. Nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 brauchte es noch einige Jahre, ehe im mittlerweile geteilten Deutschland die übersetzte Lyrik, soweit es sich nicht um nachholende Veröffentlichungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts handelte, vor allem französischer und russischer bzw. sowjetischer Dichter*innen, wieder festen Tritt fasste. 1962 erschien in Westdeutschland die erste "Beat"-Anthologie der amerikanischen Underground-Dichter*innen um Alan Ginsburg und Jack Kerouac, Ostdeutschland 1963 zog mit einem sowjetischen Pendant der "Jungen Wilden", dem "Tauwetter"-Dichter Jewgeni Jewtuschenko nach. Fast zeitgleich erschienen in beiden Teilen Deutschlands die Übersetzungen von Andrej Wosnessenski. Sein Weggefährte und Dichterfreund, der Kasache Oljas Süleymenov, wurde als erster zentralasiatischer Poet 1978 auf Deutsch publiziert – in der Heftreihe "Poesiealbum".

Die 1960er-Jahre waren eine Hochzeit der Lyrikproduktion und -übersetzungen, in der Aufbruchstimmung dieser auch politisch bewegten Epoche wurden Texte aus dem Italienischen, Griechischen, Türkischen und Spanischen ins Deutsche übertragen. Lateinamerikanische Dichter*innen wie Pablo Neruda und Ernesto Cardenal wurden in hohen Auflagen im deutschen Sprachraum veröffentlicht. Die Zahl der übersetzten Sprachen wächst bis heute immer weiter an, auch aus kleineren Sprachen wie etwa Isländisch oder Georgisch. Aus den zentralasiatischen Sprachen hingegen ist bislang noch kaum Lyrik adäquat ins Deutsche übersetzt worden, sieht man von der Übersetzung über das Russische als Brückensprache, wie etwa bei der deutschen Ausgabe von Werken des kasachischen Dichters Mukaghali Makatayev ab.

Vor allem über die Arbeitsmigration nach Westdeutschland ab Ende der 1950er-Jahre wurde die Lyrik in Deutschland noch einmal auf eine andere Art und Weise mehrsprachig. Türkischstämmige Dichter*innen wie Yüksel Pazarkaya, Aras Ören oder Zafer Şenocak, um nur die bekanntesten der älteren Generation zu nennen, schreiben als in zwei Ländern Sozialisierte in beiden Sprachen, wechseln je nach Gegenstand ihres Schreibens ins Deutsche oder Türkische – und übersetzen eigene Texte wie auch die anderer Dichter*innen. Sie machten Fremdheit wie auch das Behaustsein in zwei Sprachen und Gesellschaften zum Thema. 1995 legte Feridun Zaimoğlu mit "Kanak Sprak – 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft" ein erzählerisches Manifest der Bricolage-Sprache der Einwander*innen bzw. deren Kinder vor, die von der deutschen Gesellschaft nicht oder nur unzureichend angenommen wurden. Davon inspiriert gründete sich 1998 "Kanak Attak", der lose Zusammenschluss von Künstler*innen und Aktivist*innen, die sich gegen ethnische Identitätszuschreibung und einen "nett gemeinten Multikulturalismus" positionierten.

Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang ist, dass das Netzwerk der Dichter*innen ihrer Leser*innenschaft ein internationales ist, sowohl auf informeller wie formeller Ebene. Dichter*innen wie Bert Papenfuß etwa übersetzen ihre polnischen Mitstreiter*innen, ohne an einen Buchverlag angebunden zu sein. Institutionen wie Literaturhäuser, Stiftungen oder auch die Goethe-Institute organisieren Übersetzungswerkstätten und Begegnungen bei gemeinsamen Lesungen. Als im Zuge der blutigen Auseinandersetzungen in der arabischen Welt viele Menschen ihre Länder verlassen mussten, bemühten sich deutsche Schriftsteller*innen um ihre nach Deutschland geflohenen Kolleg*innen, banden sie in ihre Strukturen ein, suchten nach Übersetzer*innen, Verlagen und Auftrittsmöglichkeiten. Die syrische Dichterin Lina Atfah etwa, die vor politischer Verfolgung fliehen musste, konnte mit Unterstützung von zwölf Übersetzer*innen 2019 einen arabisch-deutschen Gedichtband in Deutschland herausbringen, zu dem die auf Deutsch und Georgisch schreibende Nino Haratischwili ein Vorwort beisteuerte und der breite Beachtung fand. Die Initiative "Weiter Schreiben" verhilft seit 2017 vor Krieg und Verfolgung geflohenen Dichter*innen und Prosaschriftsteller*innen einen Arbeitsraum, Auftritts- und Publikationsmöglichkeiten. Oft ist das mühselige Kleinarbeit, und nicht alles dort Geschriebene findet ein Publikum. Doch verhindert dieses Projekt, das lyrische Stimmen im Exil verstummen. Und immer steht auch die Hoffnung dahinter, dass über verschlungene Wege, über Webseiten, Messengerdienste und Social Media diese Dichtung ihren Weg zu den Adressat*innen in den jeweiligen Ländern findet, ob das Afghanistan oder Belarus ist.

Die in diesem Band versammelten fünf Dichter*innen werden sicherlich nicht die zeitgenössische deutsche Lyrik in all ihren Schattierungen und ihrer thematischen Bandbreite stellvertretend repräsentieren können. Doch der Ausschnitt ist groß genug, um einen informativen und anregenden Blick auf Sujets und Formensprache werfen zu können und Lust auf die Lektüre von anderen Dichter*innen zu wecken. Es wäre zu formal gedacht, die hier Vorgestellten in Generationen aufteilen zu wollen. Sie verkörpern eher die fließenden Übergänge zwischen Tradition und Neuerung, auch die Retrospektive, der Rückgriff auf vers libre, die Konkrete Poesie und die Anklänge von Lautdichtungen. Gemeinsam ist ihnen der weitgehende Verzicht auf den Endreim, die über Zeilenenden gehende Rhythmisierung und der Hang zur Verdichtung der Bilder. Dies ist eine Herausforderung für die Übersetzung, die jedoch hier mit Bravour gemeistert wird. Während zwischen Sprachen, aus denen gegenseitig bereits viel und lange übersetzt worden ist (wie zwischen dem Englischen und Deutschen oder dem Russischen und zentralasiatischen Sprachen), eine Art gemeinsame Metasprache gebildet wird, muss diese für den lyrischen Dialog zwischen der zentralasiatischen und der deutschsprachigen Dichtung erst noch erschaffen werden.

Gemeinsam haben die in diesem Band vertretenen Lyriker*innen, dass sie nicht die*den Leser*innen oder Hörer*innen anrufen und auffordern, dieses oder jenes zu tun oder zu unterlassen. Sie beschreiben keine Situationen, Menschen, Landschaften, Stimmungen. Auch bewerten oder kommentieren sie nicht (zumindest nicht auf der primären Ebene). Diese Texte wollen interpretiert werden. Die*der Leser*in oder Hörer*in wird nicht umhinkommen, diese Gedichte durch ihre*seine Rezeption zu vervollständigen und die Lücken zu füllen. Gemeinsam ist ihnen, dass das lyrische Ich sich deutlich zurücknimmt, aus der Wichtigkeit zurücktritt und zum Element eines größeren Ganzen wird. Man kann das durchaus als eine sympathische Distanz deuten, trotz persönlicher Bezugnahme, auch in intimen Passagen, der Welt, dieser zerrissenen, zwiespältigen und überwältigenden, die Bühne zu überlassen und die Kompars*innenrolle zu übernehmen.

Monika Rink, geboren 1969 im rheinland-pfälzischen Zweibrücken, studierte Religionswissenschaft, Geschichte und vergleichende Literaturwissenschaft. Sie ist eine Wort- und Phrasensammlerin, die die Kollaboration mit Musik und grafischer Gestaltung sucht. Sie arbeitet als Autorin, Dichterin, Essayistin und Übersetzerin. Ihr erster Gedichtband erschien 2004.

Jan Wagner, geboren 1971 in Hamburg, studierte Anglistik und arbeitet als freier Autor, Literaturkritiker, Herausgeber und Übersetzer aus dem Englischen und Amerikanischen.  Er ist unter anderem Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur sowie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Sein erster Gedichtband erschien 2001.

Daniela Seel, geboren 1974 in Frankfurt am Main, studierte unter anderem Germanistik und Literatur. Sie arbeitet als Lyrikerin, Übersetzerin, Herausgeberin und Verlegerin des von ihr 2003 gemeinsam mit dem Grafiker Andreas Töpfer gegründeten kookbooks Verlages. Ihr erster Gedichtband erschien 2011.

Anja Kampmann, geboren 1983 in Hamburg, studierte Germanistik und Literatur, veröffentlicht Gedichte und Prosastücke und arbeitet mit Komponisten für Neue Musik zusammen. Ihr erster Gedichtband erschien 2016.

Rike Scheffler, geboren 1985 in Berlin, studierte Psychologie und Literarisches Schreiben. Sie tritt als Musikerin und Performerin auf und bewegt sich an der Schnittstelle von Text und Musik. Ihr erster Gedichtband erschien 2014.


Epilog:

Und da sitzt die Lyrik immer noch, verschmitzt, die Alte, weiß sich aus der Zeit gefallen und harrt der Kinder der Kinder ihrer Kinder, die kommen werden und an ihren nährenden Brüsten saugen. Sie kommen nicht in Massen wie die Fußballfans ins Stadion, doch wieder und wieder zu jeder Zeit. Wenn die Kinder der Kinder ihrer Kinder den mit alten und neuen Schuhen verrümpelten Aufbewahrungskammern zu entkommen suchen, wie widerspenstiges Gras durch die Teerdecken zuckersüßer Bedürfnisbefriedigungspampe stoßen, den offenen Himmel sehen wollen, den Wind riechen wollen, das Wasser schmecken wollen. Und nach den Worten suchen, das zu beschreiben, für sich und für andere, was sie halten und behalten wollen. Das, was nötig ist, nicht das, was möglich ist. Vom Möglichen gibt es schon zu viel. (Der Mensch muss wählen). Die alte Dame Lyrik sitzt vergnügt und weiß, die in ihren Falten und den schlohweißen Haaren sitzende Lebens- und Welterfahrung machen sie mit jedem Jahr schöner. So jemanden schickt man nicht in Rente. So jemand wird gebraucht.


Jeanine Dagyeli

Wien, Januar 2022

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