zum fernbleiben der umarmung
Monika Rink
sie wollten nicht noch ein weiteres mal sterben, sich kollidierend verfehlen, war ihre einzige chance. sie hatten dazu die stadt, das land, ihren namen, worunter sie verschwanden und wohin es sie rief. es war eine decke, über sie gebreitet, ihre augen geschlossen, wussten sie blind, es musste eine sein. sie haben alles gehört. sie wollten zerspringen. beinah starben sie da schon zum vierten mal. alles blieb stehen und liegen. sie gingen also ein in weltverlöschung. sie mussten auf jahre dort zelten. das beet ohne erde. die scheußliche wanne. die wolllosen maschen. das ding ohne stil. drinnen, der mantel. an der see keine see. das schlagen der brandung. ihr auf ewig trockener takt. als gäbe es nichts als die auf den tod weisende aussicht, man müsse in der tat mit dieser antwortlosigkeit leben. love calls us to the things of this world, was aber ruft uns davon weg? fern bliebe ihnen der sinn des horizonts und sie blieben in der ferne, die ihre bleibe würde, alsbald. wie diese liebe für einen haaransatz, eine duftende linie am hals, all das ist fort, ist nicht geblieben, sondern fern. auch für diese bleibe gab es eine zeit. und in dieser zeit gab es keine andere bleibe als diese ferne, die sich weitete. das war der grund, einen anderen hatte es nie gegeben. das war der grund, einen anderen wird es nicht geben. und dann verloren sie ihn und sie verloren ihn wieder. nur dass es da schon ein anderer war. sie sind geblieben, um wieder zu verlieren, daher blieben sie. ihnen half das nicht mehr, aber ihm half es, dem verbesserten menschen.
AUSWILDERUNG DES ICH
Monika Rink
Festlicher Gesang für all das, was das Ich 2014 begriffen und in diesem Moment für immer missverstanden hat. Selbstverzehrendes Bewusstsein, burleske Camouflage vor sich selbst! Ein Bewusstsein, dass es besser könnte, aber dazu jemand anderem gehören müsste. Zut (alors). Das Ich stand im Funkenregen zenbuddhistischer widersinnig wirksamer Angst, die vor allem aus Funken über Palmen bestand. Und Pulverwolken, Currypulver, Feuerwerksraketen. Hat das Ich den Anderen domestiziert? Darf er oder sie sich nicht mehr bewegen? Hat das Ich gar etwas verinnerlicht, was eigentlich nach außen gehört? Das Ich spricht von seinem Inneren. Und alles andere sei außen. Aber das stimmt so ja nicht. Nachts um drei im Netz zum Beispiel. Delusional self loathing, digital harm, Verschmelzungskatastrophe. (Ich habe einen Feind und ich bin dieser Feind. Oder: Das Ich ist er.) Bedenke: Der rückwärtige Sog der sich hinter dir erhebenden Welle. Todeskulte, die sich maskieren als lebenstüchtige Akteure, als Aktionäre, in Form einer metonymischen Umschließung des Opfers durch seinen Mörder. Kranichtrophäen, Selbstverräter. Hingegen: das liebe, schnuppernde, etwas verloren die Fläche begehende, in neue Scheue, ins Fremdeln hineinflüchtende Ich. Alles, was du nicht sein kannst, der unmögliche Neid, doch Neid gleichwohl, du armes Ich. Wünschst du dir das, was sich selber vernichtet, sobald du es hast, das Ich-Ideal, zugleich mit dem Wunsch und dem Wunschbild von dir, und dir, die du das gar nicht genießen kann. Die Geister derer, die du vernichtetest, sind es viele? Nicht so viele.
Angenommen Aber
Rike Şeffler
Angenommen aber, man bastelt am großen Abmalen, am Auslassen der Farben am See. Unruhig stellen sich Fragen, Leinwände fallen auf Gegenstände, am Ufer stemmen sie sich in den Sand. Man meint zu erwägen, Schatten hätten mehr Gewicht. Und wäre das nichts: man ist eine Frau, man weiß, von Vordächern kann es genauso kalt schütten wie aus freien Himmeln, Salz, flüssig gerieben, und Nachtisch sind im Gepäck: eine Decke, eine Angel, ein ganzer arm Sachen, die einen hoffnungslos glücklich machen. Offensichtlich sich wehren dagegen, Anstand haben, Abstand: man geht angeln. Armselig dörrt am Ufer der Fang. Feuer verglimmt. Abends nachgeben, schwimmen. Stilles Wasser schlucken, alleine nicht lang, ein gekrümmtes Bündel im Schlafsack, beim See. Über Nacht sich im Schweigen üben, bemüht, die Silben nicht zu beschmutzen, Spucke zu nutzen für ärgeren Unfug: Fisch und Hänfling einander vorstellen. Träge biegt sich das Schilf. Unter Obhut stromern am Sonntag Touristen, Handtücher, alles nach Maß. Man kennt das, hat selbst schon Briefe geschrieben mit kaltem Bleistift, für die, die man liebt, und man wünschte, die silberne Linie würde nicht stimmen, binnen Sekunden anders fallen, an der Brust angefangen, nicht Richtung Kopf zielen, die Spitze der Mine, schwer schätzbar, wie tief. Dinge geschehen, wie wahr, wenn man sie lässt. Planung oder Fügung, man steht am Wannsee und winkt der Geschichte. Entschärft seine Sprache, reibt sich an ihr auf. Man haftet an Wurzeln, hadert beim Abmalen, geht abermals angeln, festhalten am Anstand, Ritual Es rudert sich leichter zurück, stimmt einem der Abwind, man gibt sich diesem Abwind, ohne ihm zu vertrauen. Angenommen, man lässt es sich gutgehen, ganze Tage am Stück, dürftig getrennt durch die sich wendende Sonne. Angenommen, es gibt genug Ansichten, sie sind schon da, was zählt, ist nur die Mischung, Farbe auf Holz aufzutragen, Lack mit Bedacht. Dabei sich eins pfeifen. Ein Boot bauen, auf den See fahren, an Regentagen, darunter schlafen. Sich anschmiegen, an einen Körper. Von dort kommt alles her. Verstehen kann man jetzt, ohne Angst den Kiefer liegen lassen, offen auf einer Brust, die auffällig dünn ist, die aber trägt. Wie ein Steg. Von hinten schleicht es sich an, das Fallen, einander gefallen, den Mund weiter auf, um verlauten zu können: Zufall, oder: stimmt, ich hab es so gewollt, dass die Zähne, die schief stehen, sich nicht mehr berühren, die Muskeln nicht drücken. Man hat beide Arme ausgebreitet, man schämt sich nicht, so einfach zu sein.
SAGA
Daniela Seel
Weather Reports You Roni Horn Wird, wenn ich meine Hand ausstrecke, Meer zu mir kommen, ein Stein? Harsche Anmut in einer Rückenlinie, richtet mich aus ohne Willkür, so bin ich hier. Und mit mir ein Schwindel von Leere, einer Welt, die nichts zurücknimmt. Dieses Gefühl unterbrechen. Wenn ich Leere sage, meine ich mehr als von Menschen leer? Mit Brotsuppe Apokalypse anstimmen, oder Liebe, Zufall, Klischee. Why should I want to be in the picture anyway? Ich muss nach dem Wetter sehen. Seiner zerzausten Gegenbewegung. Alle Gefühle sind wahr Jeder hier ist übers Wasser gekommen. Wie sie werde ich Hunger spüren. Dunkel, Wüste. Berührung. Den versunkenen Wald unter Cardigan Bay, auf den ich von Ty Newydd aus schaute, ohne ihn zu sehen. Was hat die Hekla damit zu tun, die Katla, Laki, der Inselbergegletscher? Oder Dürren in Ägypten, Französische Revolution. Ich meine das nicht monokausal. Ich kam durch sichere Drittstaaten, Sporen am Schuh. Ich rechne mit Konsequenzen. Wie Kontinente millimeterweit reißen und unter Ascheregen die Sicht verschärfen. Auf das Grün von 600 Sorten Moos. Einträge hellster Endlichkeit. Gudridur Thorbjarnardottir, Enkelin eines britischen Sklaven, reiste um das Jahr 1000 von Norwegen nach Island, Grönland, Vinland, Grönland, Norwegen, Island, Rom, Island. Wo sie überall auf menschliche Siedlungen traf und das erste europäische Kind auf amerikanischer Erde gebar, Snorri Thorfinnson. Das ist weiter als Leifur Eriksson, der eine Zeit lang ihr Schwager war. Aber kaum weiter als 500 Jahre später Enrique Melaka, malaiischer Sklave und Übersetzer in der Flotte Magellans. Kein Überleben ohne Schifffahrt. Keine Schifffahrt ohne Umsatz von Körpern in Arbeit, Ware, Schweigen, Mission, Kapital. Die Botanik nennt Moose auch Pionierpflanzen. Sie sagt, Pioniere benötigen Dutzende Jahre, um auf frischer Lava zu wachsen. Kein Lebensraum, wo Wasser nicht fließen, einsickern kann. Und wieder Dutzende nach ihrer Entwurzelung durch Trampeln und Grasen. Inzwischen sollen ausgebrachte Alaska-Lupinen Sedimente bilden auf von Mensch, Vieh, Klima hinterlassenen Wüsten. Degradationsgrade. Möglichkeitssinn. Im Ziehen von Bedürfnis und Erosion flüchtig Balancen finden. Wo etwas durch Aussparung an Konturen gewinnt. Ich meine das nicht als Metapher. Ich meine die Art Fiktion, die aus Fakten entsteht. Mein Handeln in Selektion überführt. Träumte wieder von Unterwerfung. Momente völliger Reglosigkeit. Woher all die Wasser? Nebel, Gischt, Wolken, Firn, Eis, Regen, Schnee – In ihre Dichte eintreten. Die leer ist. Endloses Schwingen darin. Übt mich in Positionierung. Überempfindlich. Nicht empfindlich genug. Träumen Vögel vom Ufer? Oder von ihrem Ozeanflug? Aus meiner Hand steigen Raben. Ihre Augen schauen, mehr als meine, nach Ländern hinter dem Meer.